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Schwierige Zeiten für Gentherapien: Bluebird Bio verkauft sich
Die moderne Gentherapie in der klinischen Anwendung scheint ein schwieriges Feld für Unternehmen zu sein. Nach einem Rückzug in mehreren Feldern der US-amerikanischen Pfizer Inc. musste sich der Gentherapie-Pionier bluebird bio nun gerade aufkaufen lassen, um noch einen Rest an Aktivität aufrechterhalten zu können. Während sich auch CDMOs aus dem Feld zurückziehen oder damit liebäugeln, hat man noch vor der Wahl eine deutsche nationale Strategie gefordert. Treffen die Marktrealitäten in den USA auch die – reichlich verspäteten – Ambitionen in Deutschland?
Der US-amerikanische Pionier für Gentherapien, bluebird bio, geht an eine Private Equity Firma, und man muss das wohl als eine Art letzte Rettung begreifen. Die vorgeschlagene Übernahme durch die globalen Investmentfirmen Carlyle und SK Capital Partners für gerade einmal rund 30 Mio. US-Dollar könnte den Aktionären von bluebird 3 US-Dollar pro Aktie sowie potenzielle CVR-Dollars (Contingent Value Rights) bringen und dem Unternehmen Kapital verschaffen, um die kommerzielle Reichweite seiner Gentherapien auszubauen.
Die Investoren reagierten jedoch negativ auf den Deal: Die bluebird-Aktien verloren am Freitag bei Börsenstart 33% ihres Wertes und fielen auf 4,65 US-Dollar. Für bluebird waren die letzten Jahre eine schwierige Phase. Die Liquidität des Unternehmens befand sich seit 2021 in freiem Fall und ging von mehr als 1 Milliarde US-Dollar im ersten Quartal 2021 auf 118,7 Mio. US-Dollar im dritten Quartal 2024 zurück. Das Unternehmen hatte ursprünglich erwartet, dass diese Mittel bis ins erste Quartal 2025 reichen würden. Im November 2024 sagten die Führungskräfte noch, dass sie mit einer „Cash-Break-Even“-Erreichung in der zweiten Hälfte 2025 rechnen, obwohl unklar war, wie dies genau erreicht werden sollte.
Bluebird hatte auf eine steigende Zahl von Behandlungen für seine Gentherapien gehofft, darunter Lyfgenia, Zynteglo und Skysona. Im November berichteten die Führungskräfte, dass sich die Behandlungsstarts für diese Produkte verdoppelt hätten. Dennoch äußerten Analysten Zweifel, ob das Unternehmen seine Erwartungen für das vierte Quartal einhalten könnte. Nach einer umfassenden Überprüfung der strategischen Alternativen entschied sich der Vorstand von bluebird, dass der Deal mit Carlyle und SK Capital Partners „die einzige realistische Lösung“ sei, um den Aktionären Mehrwert zu bieten und die langfristige Zukunft der Therapien zu sichern.
Der strategische Überprüfungsprozess beinhaltete Gespräche mit mehr als 70 potentiellen Investoren in den letzten fünf Monaten, was Einiges über die Markteinschätzung für Gentherapien aussagt. Dabei hat es augenscheinlich nicht geholfen, dass bluebird zu den Pionieren der zweiten Welle an Gentherapeutika zählt, nachdem eine erste Welle bereits in den 1990er Jahren die Behandlungsoption in die Schlagzeilen gebracht, aber wegen viel Lehrgeld in Form von Todesfällen auch schnell wieder aus dem klinischen Alltag verbannt hatte. „Seit über einem Jahrzehnt steht bluebird an vorderster Front der Gentherapie“, sagte CEO Andrew Obenshain. Doch mit zunehmenden finanziellen Herausforderungen wurde klar, dass der richtige strategische Partner entscheidend sein würde, um eine Zukunft für das Unternehmen gestalten zu können.
Im Dezember 2023 genehmigte die FDA bluebirds Lyfgenia für die Behandlung der Sichelzellenanämie. Diese Zulassung wurde jedoch etwas überschattet durch die gleichzeitige Zulassung von Casgevy, einer CRISPR-basierten Gentherapie von Vertex Pharmaceuticals und CRISPR Therapeutics für dieselbe Erkrankung. Später erreichte auch noch Pfizer mit einer weiteren gentherapeutischen Behandlung den Markt. Bluebird vertreibt auch Zynteglo, eine Gentherapie für Beta-Thalassämie, sowie Skysona für zerebrale Adrenoleukodystrophie (CALD).
Pfizer hat zwar mittlerweile wegen einer steigenden gemeldeten Zahl von Todesfällen bei seiner Sichelzellen-Anämie-Therapie den Wirkstoff vom Markt zurückgezogen, doch gerade in dieser Indikation lassen sich die hohen Preise für die Anwendung in der regionalen Verbreitung der Inzidenz nicht durchsetzen. Auch dieser Grund mag in der Pfizer-Entscheidung mitgeschwungen haben, denn Pfizer nahm kürzlich auch seine Gentherapie zur Behandlung der Hämophilie (Bluterkrankheit) vom Markt. Die weltweite Entwicklung und Vermarktung seiner Hämophilie-Gentherapie, Beqvez, zeigte (auch dort) nur eine schwache Nachfrage von Patienten und ihren Ärzten, so das US-Pharmaunternehmen vor wenigen Tagen. Beqvez war eine einmalige Therapie, die letztes Jahr in den USA für die Behandlung von Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer Hämophilie B zugelassen worden ist.
Die Rückzüge aus dem Bereich der Gentherapie kosten viel Geld. Bluebird sammelte vor dem Börsengang 2022 über 140 Mio. US-Dollar ein, unter anderen bei Arch Ventures und Third Rock Ventures, und war nach der ersten Zulassung mit einer Marktkapitalisierung von rund 600 Mio. US-Dollar bewertet. Der Verkauf für rund 30 Mio. US-Dollar ist da kaum noch der Rede wert. Doch auch die große Pfizer hat eine deutliche Abschreibung vorzunehmen. Die Therapieoption zur Behandlung der Sichelzellkrankheit, Oxbryta, hatte sich Pfizer durch die Übernahme von Global Blood Therapeutics für satte 5,4 Mrd. US-Dollar gesichert.
Kürzlich hatte die deutsche CDMO Rentschler für Aufsehen gesorgt, als sie sich strategisch von der Herstellung von Zell- und Gentherapeutika verabschiedete und den dafür ausgebauten Standort in England nach wenigen Jahren wieder zusperrte. Dieser Schritt erscheint bei Betrachtung der Schwierigkeiten von Pionieren und großen Tankern in diesem Feld nun in einem neuen Licht. Doch auch weitere CDMOs sind in dem Bereich engagiert wie Minaris und andere – noch? Zugleich hat sich eine Initiative deutscher Forscher und der Pharmaindustrie mächtig ins Zeug gelegt, der früheren Bundesregierung eine „Nationale Strategie Zell- und Gentherapie“ abzutrotzen, die maßgeblich vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) koordiniert wurde. Hier darf man nun gespannt sein, wie die neue Bundesregierung auch die veränderte Marktlage in eine Neubewertung solcher Initiativen einbezieht.